Meine Arbeiten handeln vom sozialen Umgang urbangeprägter Menschen, von ihrem Agieren mit Objekten, von Fiktionen und Wirklichkeiten.
Ich arbeite raumbasiert und ortsbezogen, mit Plastiken und Objekten, mit Malerei und Fotografie und in neuerer Zeit auch mit Text und Grafik sowie als Autorin.

Meine Raumbilder, ich nenne sie BildBauarbeiten, sind Collagen der Vertrautheit, auf ihren Ort bezogen und sie sind statisch angelegt. Die BetrachterInnen können sich in ihnen bewegen.

Ich interessiere mich für Übergänge, für Umbrüche und Grenzbereiche, für Uneindeutigkeiten, wenn beispielsweise Malerei zu Plastik wird, Plastik zu Raum, Text zu Raum oder Kunst auch Design sein könnte. Ich tausche gerne umgebende TatSachen gegen Fiktionen aus, manchmal fast unmerklich. Ich zeige als Künstlerin also eher die Bilder von etwas und viel weniger die TatSachen.

Das Betreten meiner BildRäume lässt die Erzählungen im Kopf der BetrachterInnen entstehen. Zunächst glauben sie Alltägliches wahrzunehmen: ein Parkhaus, eine Party, einen Verkaufsraum oder eine archäologische Grabung. Später sind sie sich dann wohl weniger sicher.

…Die Welt im Allgemeinen ist schön und hart und sie verlangt von den meisten ihrer Lebewesen für das eigene Überleben genau hinzuschauen.

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Zu den Arbeiten von Annette Sense von 1989 bis 2002
Arbeiten mit der Industrie und dem Automobil

Von 1989 bis Mitte der 90er Jahre befasste ich mich in meiner künstlerischen Arbeit mit der Verräumlichung von Bildflächen zu Plastiken und der Integration von Bildqualitäten (Farbe und Flächencharakter) in die Dreidimensionalität.

Die Arbeiten besetzen eine Position zwischen Bild und Plastik. Das jeweilige Formenvokabular entstammt der Logik industrieller Fertigungsprozesse.

Den inhaltlichen Bezugsrahmen der Arbeiten bilden Hauswände, Mauern, Baustellen, Werkstätten, Fabriken und Ladenlokale. Die detailgenauen Beobachtungen dieser urbanen Lebensbereiche führten mich zu den Serien der BildPlastiken. Einige Jahre später wurden diese Arbeitsserien mit den Inhalten der Strasse und des Strassenbaus noch ergänzt. Mit den Jahren entstanden dreidimensionale Erzählungen, Fiktionen und Wirklichkeiten über die Handlungsräume von Stadtlandschaften.

Ab 2003 zogen dann handelnde Menschen in diese Stadtlandschaften und Räume ein. Sie agierten und partizipierten und wurden mitunter zum zentralen Thema der Erzählungen.

Vielleicht muss ergänzt werden, dass ich in einer Industriemetropole aufwuchs, mitten im Ruhrgebiet, zwischen Bergbau und Montanindustrie der 60er/70er Jahre.

Bis zum Jahr 2001 sind die verwendeten Bildelemente meiner Arbeiten, meiner BildPlastiken und BildBauarbeiten, keine echten Industrieprodukte, sondern imitieren deren Handlungs- und Funktionsideen.

Sie alle sind, nach einem intensiven Studieren originaler Objektgruppen und ihrer Kontexte, anders als diese, grundsätzlich von mir persönlich von Hand gefertigte Unikate. Sie alle weisen feine, meine händischen Arbeits- und Pinselstrichspuren auf, auch die Lackierungen der gefertigten Metallarbeiten.

Der erste Eindruck, daß es sich um gefundene, industriell gefertigte Produkte handelt, täuscht also. Ebenso wurden ihre Dimensionen auf die Grössenordnungen der jeweiligen Ausstellungsräume, meist Innenräume, hin adaptiert.

Der strukturelle Aufbau der Bildelemente in Materialauswahl, Farbmaterial, Farbtonalität und Form, und die Logik des Herstellungsprozesses gehorchen häufig, allerdings eher selten vollumfänglich, den Regeln von Architektur, Straßenbau und Verkehr. Sie wurden, da es sich ja tatsächlich um Malerei, b.z.w. BildBauarbeiten handelt, an meine individuellen und temporären Ideen für Bildoperationen angeglichen.

So sind auch die Bezüge zur zeitgenössischen Kunst intendiert: Colour Field Painting, Combine Painting, Assemblage, Installation, Collage, Aktion, Imitation, Konzept-, orts- und raumbezogene Kunst.

In den jeweiligen Arbeiten werden die inhaltlichen RaumBild- und Konzeptideen mit allen ihren Details, die gestalterischen Industriereglements und die künstlerischen Codes von Bild/Plastik/Raum miteinander verwoben.

Dabei sehe ich auf meine Bildbauarbeiten wie Peter Weibel es einmal formulierte: "…im Bewußtsein, daß es sich bei den Operationen um ein Kreisen von Codes handelt, um ein Kreisen von Bildern um Bilder, d.h. Malerei betrieben im Bewußtsein einer mediatisierten Visualität und der Visualität im Kontext..."
"...Ursprung oder Code kann sein die Geschichte des gemalten Bildes, aber auch die allgemeine Geschichte des Bildes, wie sie durch alle Trägermedien von der Fotografie bis zum Computer verlaufen ist. Der Ursprung auf den diese Malerei sich beruft, ist die Geschichte und der Kontext der Visualität. Die Überwindung der Medien (Immedien) mit Mitteln der Malerei stellt in den 90er Jahren eine allgemeine Thematik dar, bei der ein neues Denken des Pikturalen gefunden wurde, jenseits des Bildes, aber im Horizont des Visuellen..." (Peter Weibel in: Pittura Immedia Graz 1995)

Daneben ist das intensive Beschäftigen und explizite Begreifen von Dingen während des bildhauerischen Arbeitens für mich persönlich eine Methode, mit der Zeit zu arbeiten, die Phänomene der Welt für eine Weile zu verlangsamen, im besten Falle innerhalb der Wirklichkeit für Momente bei sich selbst zu sein.

„Man muß die Zeit zurückerobern“, forderte einst Paul Virilio „…Im Gegensatz zu dem, was uns gesagt wird, ist Information in Echtzeit keine wirkliche Information, sondern eine Aktion - wie eine Ohrfeige.“
„…Die Verkehrs- und Transportmittel sind gleichermaßen Medien wie die Kommunikations- und Informationsmittel. Beide treten zwischen den Menschen und die Welt, und beide nehmen Einfluß auf das, was als Wirklichkeit erfahren wird.“

Meine Arbeitsserien Farbträger 2 - 1995, die Farbträger 3 - 1995, der Gebührenpflichtige Parkplatz - 1993 und vor allem die View-points - 1995 und das Road Movie - 1996, gehören sämtlich zu meinen BildPlastiken, aber zugleich waren sie ein Versuch des sich Begreifbarmachens von visualisierten Bildern während meiner Langstreckenfahrten, aus der Perspektive einer leidenschaftlichen Autofahrerin.

Die Arbeiten Farbträger 1 - 1993, die Farbträger 2 - 1995, Parkhaus-Südbahnhof - 1997, No Parking Area - 1998 und Road Conditions - 1998 sind als meine frühen BildBauarbeiten als künstlerische Erweiterungen von Bildplastiken zu räumlichen Collagen, bzw. zu installativen RaumBildern und Bildsetzungen zu verstehen.

Alle diese Arbeiten betonen neben ihrer Kontextbezogenheit und dem Eingehen auf ortsspezifische Gegebenheiten, immer auch einen phänomenologischen Sinn von Kunst, mittels definierter Bezugspunkte, die über haptische und optische Sinneswahrnehmung erfahrbar werden.

Paul Virilio schrieb, dass „…der Gegenstand, der auf den Film der Windschutzscheibe stürzt, genauso schnell wieder vergessen (wird) wie er vorher zur Kenntnis genommen (wurde) und fällt, sobald er im Heckfenster verschwindet, der Requisitenkammer anheim.“

Die Arbeiten der 90er Jahre sind mein Versuch eine derartig vermittelte und entstandene Außenwelt mittels haptischer und zeitlich verlangsamter Sinneswahrnehmung für mich neu zu definieren. Etwa so wie die filmische Beschleunigung oder Verlangsamung eine zweite Realität, die einer anderen Zeit, aufzeigen kann.

Annette Sense